Methoden des szenischen Schreibens
Methoden des szenischen Schreibens – ein Baustein der Sprachförderung
Im Unterricht erleben die meisten Schüler Sprache in einem paradoxen Spannungsfeld. Einerseits wird ihnen eine gebändigte Sprache vermittelt, die Sachverhalte erschließen soll und deren Gesetzmäßigkeiten zu erlernen sind. Diese Sprache begegnet ihnen oft in der Schriftform sowie in gelenkten Diskussionen und ordnungsgemäßen Wortbeiträgen. Andererseits werden sie immer wieder von unvermittelten Äußerungen überwältigt, die sich in Form von privaten Seitenbemerkungen, emotionalen Ausbrüchen, hitzigen Debatten und unkontrollierten Störfeuern bemerkbar machen. Mit den Methoden des szenischen Schreibens lassen sich diese emotionale Qualitäten von Sprache vermitteln.
Das Drama birgt eine lebendige Sprache. Dramatische Szenen eröffnen Spielräume, in dem lustvoll die Möglichkeiten der Sprache und ihre emotionalen Wirkungen ausprobiert werden können. Wenn Schüler selber Szenen schreiben, setzen sie sich mit einer Sprache auseinander, die zeit-, ort- und situationsbezogen ist. Zudem bekommen sie die Möglichkeit, sich im Dialog mit anderen Mitspielern sprachlich zu entdecken und ihren eigenen Ausdruck zu erproben.
Die Arbeit mit Konflikten
Die dramatische Form auszuloten heißt, dem Sprechen auf den Grund zu gehen: Warum sprechen Personen miteinander? Warum treten Figuren miteinander in einen Dialog? Das Medium, in dem miteinander kommuniziert wird, bestimmt die Form: In einer Zeitung beispielsweise ist die Motivation für ein Interview in der Regel der Informationsbedarf und die Form des Gesprächs ist ein Frage-Antwort-Spiel. Im Drama hingegen werden Positionen einander gegenübergestellt. Die Figuren des Dramas haben etwas miteinander auszuhandeln und auszutragen. Im Drama verwirklicht sich Sprache über den Konflikt. Um dies zu verdeutlichen führe ich im Folgenden zwei Minidramen an, die durch einen Konflikt in Gang gesetzt werden.
DAS MESSER
EINS Gib mir das Messer.
ZWEI Ich habe kein Messer.
EINS Ich will das Messer.
ZWEI Ich kann es dir nicht geben.
EINS Ich schlage dich.
ZWEI Ich steche dich nieder.
Da hast du dein Messer.
EINS Oh nein.
ZWEI Oh doch.
In diesem einfachen Beispiel wird der Konflikt schon durch die ersten beiden Sätze in Szene gesetzt. Die Eröffnung „Gib mir das Messer“ und die Erwiderung „Ich habe kein Messer“ bilden ein Spannungsverhältnis zwischen zwei Figuren. Zwischen den beiden Positionen, die dialogisch eröffnet werden, entsteht ein Spielraum, in dem verhandelt und getäuscht, gefordert und erwidert werden kann. Dieser Spielraum kann nun ausgelotet und erweitert, die verschiedenen sprachlichen Möglichkeiten können in ihm ausprobiert und konkretisiert werden. Das Beharren der ersten Person auf der Forderung „Ich will das Messer“ und die darauf folgende Erwiderung „Ich kann es dir nicht geben“ sind eine Möglichkeit, wie der anfänglich in Gang gesetzte Konflikt fortgeführt werden kann. Neben dieser Variante ließen sich an dieser Stelle jedoch noch zahlreiche weitere Möglichkeiten finden. Die Auseinandersetzung zwischen den Personen führt in diesem Beispiel zu einer Krise, die ebenfalls ein formgebendes Element des Dramas ist und die im Minidrama „Das Messer“ in den Sätzen „Ich schlage dich“ und „Ich steche dich nieder“ realisiert wird. Der Höhepunkt dieses Minidramas besteht hier in dem Wendepunkt „Da hast du dein Messer“, in dem die Lösung des Konfliktes auf gewaltsame Weise erzwungen wird. Die fünf Punkte Konflikteröffnung – (Konflikt-)Spielraum – Krise – Höhepunkt – Lösung können als wesentliche Bestandteile eines konfliktbasierten Minidramas gelten, wie auch an dem nächsten Beispiel abzulesen ist:
DER ZWEIFEL
EINS Du liebst mich nicht.
(Konflikteröffnung)
ZWEI Natürlich liebe ich dich.
EINS Das glaube ich nicht.
(Konfliktspielraum)
ZWEI Dann glaubst du es eben nicht.
EINS Dir ist alles egal.
(Krise)
ZWEI Das habe ich nicht gesagt.
Du liebst mich wohl nicht.
(Höhepunkt)
EINS Stimmt!
(Lösung)
Szenen schreiben
Hat man diese Bauprinzipien eines Minidramas erörtert, können die Schüler mit ihnen experimentieren. Anfänglich sollte dabei noch keine thematische Eingrenzung erfolgen. Wichtiger ist, dass die Schüler sich an einer konfliktbasierten Szene ausprobieren können. Die Schreibaufgabe sollte deshalb möglichst schlicht gestellt werden: Entwerfe ein Minidrama, in dem zwei Figuren (was nicht zwingenderweise zwei konkrete Personen meint, sondern beispielsweise auch zwei Gegenstände oder Fantasiefiguren bedeuten kann) vorkommen und das möglichst auf szenische Regieanweisungen verzichtet.
Anhand einiger Beispiele, die von Schülern der 9 – 11 Jahrgangsstufe aus verschiedenen Schulformen in der ersten Stunde einer offenen Dramawerkstatt erarbeitet wurden, sollen nun exemplarisch Ergebnisse dieser Schreibaufgabe diskutiert werden.
Schülerbeispiel 1
A Weißt du noch?
B Was?
A Was du mir damals sagen wolltest?
B Wann?
A Na gestern. Du wolltest mir was sagen.
B Nein, das kann nicht sein.
A Doch, wir standen zusammen am Brunnen.
Und du hast gesagt, ich muss dir was sagen.
B Nein, das habe ich vergessen.
A War es denn nichts Ernstes?
B Nein, das kann nicht sein.
Häufig beginnen erste Dialoge mit einer Frage. In der Begegnung mit der neuen Form ist die Frage ein bekanntes und scheinbar verlässliches Instrument. Allerdings eröffnet eine Frage den Dialog, nicht jedoch zwingend ein Drama. Eine Frage provoziert eine Antwort oder wie im obigen Beispiel eine Gegenfrage. Wenn es darum geht, einen Konflikt so schnell wie möglich in Szene zu setzen, ist die Frageform meist hinderlich. Selbst eine so provozierend gestellte Frage wie „Bist du doof?“ kann mit einem ebenso dummen „Wieso?“ ausgekontert werden. So ergibt sich der Konflikt im obigen Minidrama auch erst an der Stelle, an der die Frageform aufgegeben wird. Mit dem Einwurf „Du wolltest mir was sagen“ und der Erwiderung „Nein, das kann nicht sein“ entsteht ein Spannungsverhältnis, in dem sich ein Spielraum für die Sprechenden eröffnet, und in dem sich in diesem Beispiel eine kleine Geschichte auftut: „Wir standen zusammen am Brunnen. Und du hast gesagt, ich muss dir was sagen.“
Eine andere Stolperfalle beim Arbeiten mit Konflikten zeigt sich im zweiten Beispiel.
Schülerbeispiel 2
A Du widerst mich an!
B Ich hasse dich!
A Das würde passen, aber eigentlich bist du mir egal!
B Ich mag dich nicht!
A Okay, eigentlich bist du ganz okay.
B Willst du mich anmachen?
A Ich glaube, du magst mich!
B Ich glaube, du magst mich!
A Nein, ich liebe dich!
Im Zweiten von einem Schüler entwickelten Minidrama wird der Konflikt mit einem Streit verwechselt. Dabei bedeutet nicht jeder Streit, dass es auch einen Konflikt gibt, wie das Beispiel zeigt. Die beiden Personen A und B sind sich in ihrer Meinung vom jeweils anderen einig. Mit den Sätzen „Du widerst mich an!“ und „Ich hasse dich!“ wird ein Meinungsaustausch inszeniert, der in Wirklichkeit keinerlei Konfliktstoff bietet. Deshalb verläuft sich diese Auseinandersetzung auch relativ schnell und eröffnet wenig Spielraum für die Figuren, die eigentlich nichts miteinander zu verhandeln haben. Ein Konflikt wird erst da angerissen, wo zwei einander widersprechende Meinungen aufeinander treffen: „Ich mag dich nicht!“ „Okay, eigentlich bist du ganz okay.“ – „Willst du mich anmachen?“
Ein Ziel beim szenischen Schreiben ergibt sich durch die Reflexion von sprachlichen Strukturen. Die Minidramen können dabei laut gelesen oder spielerisch vorgetragen werden, wobei die Schüler die kommunikative Funktion von Sprache an konkreten Beispielen erfahren. Sie haben dabei die Möglichkeit zu lernen, wie bestimmte sprachliche Strukturen die Kommunikationsformen bedingen. Besonders das Aufschreiben von Alltagsdialogen in einem Minidrama bietet erhellende Momente, wie die dritte Szene zeigt.
Schülerbeispiel 3
A Zieh dich wärmer an.
B Kein Bock.
A Doch wirst jetzt Bock dazu haben.
B Was willst du denn machen?
A Mir fällt dann schon was ein.
B Mach doch.
A Okay…
B Nein!
In diesem Gespräch zwischen A (einer Mutter) und B (einem Schüler) ist der Konflikt schon mit den ersten Sätzen in Szene gesetzt. In dem begrenzten Spielraum, der mit den Sätzen „Zieh dich wärmer an“ und „Kein Bock“ eröffnet wird, findet eine ritualisierte Auseinandersetzung statt. Dass dieser oder ein ähnlicher Konflikt nicht zum ersten Mal zwischen den beiden Figuren ausgetragen wird, deutet sich schon dadurch an, dass auf Sachargumente wie „Du wirst dich sonst erkälten“ „Es ist doch nicht mehr Sommer“ etc. gänzlich verzichtet wird. Auf die Verengung der Möglichkeiten in dieser ritualisierten Kommunikation weist Person B sogar mit einer provozierenden Frage hin: „Was willst du denn machen?“
Wenn zwei Schüler diese Szene spielen, sollte vorher unbedingt über den Status der Figuren gesprochen werden. Zu klären wäre dann, welche der Figuren den höheren Status (also mehr Handlungsmöglichkeiten hat) und was dies für das Spiel der beiden Personen bedeutet: Welche der beiden Figuren thront möglicherweise auf dem Sofa? Was macht der Schüler, was macht die Mutter? Gibt es einen Punkt in diesem Kurzdrama, wo sich das Verhältnis der beiden Figuren umdreht? Und was macht Person A wenn sie zum Schluss sagt: „Okay…“?
Ein weiteres Beispiel für ein Minidrama, in dem der Status der Figuren eine entscheidende Rolle spielt, will ich zum Schluss dieser Reihe anfügen. In dieser Szene verwirklicht sich durchgängig das Bauprinzip Konflikteröffnung – (Konflikt-) Spielraum – Krise – Höhepunkt – Lösung. Dabei besticht besonders der lakonisch-knappe Ton, mit dem hier zwei Generationen aufeinander treffen.
Schülerbeispiel 4
A Mach den Platz frei!
B Nein.
A Sei doch nicht so unhöflich.
B Machen Sie doch selbst den Platz frei!
A Du bist jünger.
B Ich bin müde.
A Das ist die Jugend von heute.
B Ich steh ja schon auf!